„Die Kirche ist beweglicher, als sie selbst glaubt“
Betroffene hören – Missbrauch verhindern. Das ist das erklärte Ziel des Bistums Limburg. Seit zwei Jahren wird daran gearbeitet, insgesamt 64 Maßnahmen aus dem MHG-Folgeprojekt im Bistum Limburg umzusetzen. Nun zieht der Implementierungsverantwortliche Dr. Dr. Caspar Söling eine erste Bilanz, denn Ende September 2023 sollen alle Maßnahmen umgesetzt sein.
„Bei unserer Arbeit leitet uns ein für alle Maßnahmen geltender Perspektivwechsel“, so Söling, für drei Jahre von Bischof Dr. Bätzing als Implementierungsbeauftragter eingesetzt. „Wir sehen in erster Linie die Betroffenen, die wir begleiten und unterstützen wollen. Gleichzeitig wollen wir die Rahmenbedingungen so ändern, dass Missbrauch möglichst verhindert wird.“
Insgesamt 17 Maßnahmen sind bereits umgesetzt, 43 werden aktuell bearbeitet, vier werden zu einem späteren Zeitpunkt angegangen. Jedoch alle Maßnahmen sollen bis September nächsten Jahres umgesetzt sein. Das Team um den Implementierungsbeauftragten steuert die Bearbeitung, setzt Implementierungsgruppen aus Bistumsmitarbeiterinnen und Bistumsmitarbeitern ein, überprüft die Einhaltung der Zeitpläne, veranlasst die externen Qualitätsprüfungen, organisiert die Beratungen in den Gremien, lässt die Freigabe erteilen und berichtet regelmäßig der Unabhängigen Kommission, einem externen Expertenrat, in dem auch Betroffene vertreten sind.
Die Anliegen ernst nehmen
Zentraler Punkt im künftigen Umgang mit Betroffenen ist eine neue Interventionsordnung: Sie stellt die Belange und den Schutz der Betroffenen in den Vordergrund und regelt, welche Schritte erfolgen, um einen Missbrauchsvorwurf zu untersuchen. Neu ist, dass es künftig eine Ansprechperson gibt, die das weitere Vorgehen in die Wege leitet und beispielsweise dafür Sorge trägt, dass Betroffene regelmäßig über den Fortgang der Untersuchungen informiert werden. „Wir nehmen Ihr Anliegen ernst, Sie sind uns wichtig und nicht etwa lästig“, lautet die Botschaft.
Geschaffen wurde auch die Stelle der sogenannten Fachkraft für Kommunikation. Sie hat zur Aufgabe, die Bistumsmitarbeitenden für eine Kommunikation mit Betroffenen zu sensibilisieren und deren Bedürfnisse im Blick zu haben. Ebenso fördert sie die Sprachfähigkeit zum Thema sexualisierte Gewalt, damit Betroffene gesehen und deren Anliegen thematisiert werden. Eine eigene Arbeitsgruppe hat sogenannte Kommunikationsleitplanken erarbeitet, die den Mitarbeitenden des Bistums Sicherheit und Unterstützung in der Kommunikation mit Betroffenen geben. Hierbei wird viel Wert gelegt auf Solidarität, Offenheit, Wertschätzung, Achtsamkeit, Geduld und Professionalität. Erarbeitet wurden auch Leitfäden mit Hilfestellungen für konkrete Situationen, etwa wie man einer Person am Telefon empathisch begegnet. Sie werden nun geschult – von der Empfangsmitarbeiterin bis zum Bischof.
Vereinfachter Zugang zu Informationen
Die entsprechenden Themenseiten des Bistums im Internet (gegen-missbrauch.bistumlimburg.de) wurden komplett überarbeitet mit dem Ziel, Betroffenen niedrigschwellig und verbindlich Ansprechpersonen, Kontaktstellen und grundlegende Informationen zu bieten.
Pfarreien und andere kirchliche Stellen erhalten dazu regelmäßig Informationen zur Veröffentlichung auf ihren Webseiten oder in ihren Pfarrbriefen. Ergänzt wird diese Reihe durch Online-Gesprächsrunden, in denen intensiver beleuchtet wird, was die Umsetzung der Maßnahmen konkret bedeutet. Die Veranstaltungen sind für jedermann zugänglich und können anschließend auf der Videoplattform Youtube angesehen werden.
Neben dem Schutz der Betroffenen ist ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der iMHG-Projektgruppe das Verhindern jeder Form von Missbrauch. Hier werden die Rahmenbedingungen geschaffen, dass eine Haltungsänderung innerhalb der Kirche möglich wird: Bistumsleitlinien zur Sexualmoral, die offiziell auch Diversität und Homosexualität anerkennen, sollen eine Doppelmoral auflösen. Deshalb wird ab sofort auf dieser Grundlage auch das kirchliche Arbeitsrecht anders angewendet. Die Gleichstellungsordnung wird die Anzahl von Frauen in Leitungsfunktionen genauso verändern, wie die Zusammensetzung der Gremien. Eine neue Ausbildungsordnung für Priester und pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nimmt den individuellen Reifungs- und Reflexionsprozess stärker in den Blick. Alte hierarchische Strukturen werden aufgebrochen. Völlig neu sind auch die Ergebnisse zur Verhinderung spirituellen Missbrauchs, also des Machtmissbrauchs in der religiösen Begleitung. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass sich das Bistum so umfassend und so konsequent mit den notwendigen Themen befasst und entsprechend neu ausrichtet“, freut sich Söling.
Ergebnisse werden kommuniziert
In Vorbereitung befindet sich ein Angebot zur niederschwelligen Meldung von Missbrauch oder Missbrauchsverdacht. Poster, Plakate oder Internetseiten werden künftig mit einem QR-Code versehen, der direkt zu einer Beschwerdestelle weiterleitet. Die Plakate sollen in kirchlichen Kitas, Schulen, Vereinen, Sakristeien und anderen Orten aufgehängt werden. Sie bieten Kindern und Jugendlichen, aber auch deren Eltern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern niederschwellige Möglichkeiten, auf Wunsch auch anonym, Kontakt aufzunehmen.
Damit diese Veränderungen nachhaltig sind, arbeitet das Bistum an einem Compliance-Bericht, der ab Frühjahr 2023 jährlich erscheint und in dem über die Fortschritte bei den verschiedenen Maßnahmen berichtet wird. Denn auch wenn Söling und sein Team im September nächsten Jahres aufhören, soll sichergestellt sein, dass die Verantwortlichen im Bistum Limburg weiter konsequent Betroffene hören und Missbrauch verhindert wird.
„Die ersten beiden Jahre unserer Arbeit waren geprägt von viel Vorbereitung und konzeptioneller Arbeit. Im kommenden Jahr wird es verstärkt darum gehen, die Ergebnisse zu kommunizieren und in die Umsetzung zu bringen“, erläutert Caspar Söling. „Ich bin zuversichtlich, dass uns dies gelingt. Denn wir sind weiter als gedacht und uns begegnet weniger Widerstand als erwartet.“ Im Laufe der vergangenen Jahre habe sich in seinen Augen bestätigt, dass viele Schwierigkeiten im Umgang mit Missbrauch systemimmanent waren. Aus dieser Erkenntnis heraus habe er für sich seine Rolle als Implementierungsbeauftragter definiert: Am Bistum Limburg sieht man, wie sich scheinbar einzementierte Strukturen verändern lassen. Die Kirche kann sich mehr bewegen, als viele denken – wenn die Verantwortlichen das wirklich wollen.“
Hilfreiche Internetlinks:
Jedes Quartal wird über den Fortschritt bei der Umsetzung der Maßnahmen berichtet. Diese Quartalsberichte mit Überblicken über alle Maßnahmen können Sie hier einsehen:
https://gegen-missbrauch.bistumlimburg.de/fileadmin/redaktion/Portal/Meldungen/2021/Implementierung_Dateien/Quartalsbericht_2_2022.pdf
Eine Übersicht über die digitale Themenreihe finden Sie hier:
https://gegen-missbrauch.bistumlimburg.de/beitrag/damit-kommunikation-hilft/