Widerspruchsrecht und Akteneinsicht im Verfahren zur Anerkennung des Leids
Betroffene sexualisierter Gewalt können seit dem 1. März 2023 Widerspruch gegen die Entscheidungen der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) zur Leistungshöhe einlegen. Der Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz, die UKA, die Deutsche Ordensobernkonferenz und die Deutsche Bischofskonferenz haben sich einvernehmlich auf eine Ergänzung der Verfahrensordnung zur Anerkennung des Leids geeinigt, wonach Betroffene ihren einmaligen Widerspruch formlos über die unabhängigen Ansprechpersonen oder die für sie zuständige kirchliche Institution einlegen können. Um das Verfahren für die Betroffenen niederschwellig zu halten, bedarf der Widerspruch keiner Begründung. Auf Antrag erhalten die Betroffenen zudem das Recht auf Einsicht in ihre Verfahrensakten bei der UKA.
Betroffene sexualisierter Gewalt, deren Anträge seit Beginn des UKA-Verfahrens am 1. Januar 2021 bis zum 28. Februar 2023 entschieden sind, können bis zum 31. März 2024 Widerspruch einlegen. Betroffene, deren Anträge ab dem 1. März 2023 entschieden werden, können ihren Widerspruch innerhalb einer Frist von zwölf Monaten ab Bekanntgabe der Leistungsentscheidung durch die Geschäftsstelle der UKA geltend machen.
„Ich danke dem Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz für seine konstruktive Mitarbeit an dieser wichtigen Verfahrensänderung. Die Betroffenen haben jetzt die Gelegenheit, ihre Unterlagen bei der UKA zu prüfen. Diese Akteneinsicht war eine zentrale Forderung des Betroffenenbeirats an die deutschen Bischöfe“, sagt Bischof Dr. Helmut Dieser (Aachen), Vorsitzender der bischöflichen Fachgruppe für Fragen des sexuellen Missbrauchs und von Gewalterfahrungen. Auf der Grundlage dieses Antrags, zu dem wesentlich die Tatschilderung zählt, entscheidet die UKA über die Leistungshöhe.
Der Betroffenenbeirat bei der Deutschen Bischofskonferenz geht davon aus, dass mit der Einführung des einmaligen Widerspruchs zahlreiche Betroffene eine Überprüfung der Leistungsbescheide beantragen. „Das Recht auf Widerspruch und Akteneinsicht muss für die Betroffenen in überschaubaren Bearbeitungszeiten umgesetzt werden. Der Betroffenenbeirat erwartet, dass die Deutsche Bischofskonferenz die notwendigen Kapazitäten für das Verfahren und die Akteneinsicht zur Verfügung stellt, um Antragsstaus wie zu Beginn des UKA-Verfahrens zu vermeiden“, betont Johannes Norpoth, Sprecher des Betroffenenbeirates.
Bischof Dieser hebt hervor, der Betroffenenbeirat habe insbesondere mit der von ihm eingebrachten Widerspruchsfrist bis zum 31. März 2024 das Verfahren gestärkt. „Mit dieser Widerspruchsfrist wird den Betroffenen ausreichend Zeit gegeben, auch rückwirkend ihren Widerspruch anstoßen zu können.“
Hintergrund: Informationen zum Verfahren zur Anerkennung des Leids
Das seit dem 1. Januar 2021 in Kraft getretene Verfahren zur Anerkennung des Leids wurde für die Betroffenen bewusst in Ergänzung des Rechtsweges zu den ordentlichen Gerichten eingeführt: Betroffene können ihre Forderungen gegen die Beschuldigten häufig nicht mehr gerichtlich durchsetzen, etwa weil diese verstorben oder die Taten verjährt sind. Diesen und allen Betroffenen sexuellen Missbrauchs bietet das Verfahren die Möglichkeit, einfach und ohne die Belastungen eines Gerichtsverfahrens Geldleistungen zu erhalten. Anders als vor staatlichen Gerichten müssen Betroffene keinerlei Beweise, weder für den sexuellen Missbrauch noch für seine Folgen, erbringen. Es genügt, dass die Schilderung der Betroffenen plausibel ist. Unabhängige Ansprechpersonen in den (Erz-)Bistümern bieten den Betroffenen in Gesprächen Hilfestellung bei der Antragstellung und der Tatschilderung
Die Festsetzung der materiellen Leistungen erfolgt bundesweit einheitlich durch die UKA. Die interdisziplinär zusammengesetzte Kommission, deren Mitglieder von einem mehrheitlich nicht kirchlichen Gremium vorgeschlagen und von der Deutschen Bischofskonferenz berufen wurden, sind in ihren Entscheidungen frei. In der UKA sind weder Betroffene noch Personen vertreten, die in einem Arbeits- oder Berufsverhältnis zu einem kirchlichen Rechtsträger stehen oder standen.
Die Leistungshöhe orientiert sich am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder. Damit wird ein außerkirchlicher Bezugsrahmen herangezogen, der gesellschaftlich und der Höhe nach in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte verortet ist sowie eine fortlaufende Weiterentwicklung erfährt.
Das Verfahren zur Anerkennung des Leids kennt keine Höchstgrenze von Leistungen. In etwa acht Prozent der Fälle gehen die Leistungsfestsetzungen über 50.000 Euro hinaus und dies zum Teil sehr deutlich. Die Ordnung sieht vor, dass bei Beträgen oberhalb von 50.000 Euro die kirchliche Institution zustimmt; diese Zustimmung ist in allen Fällen erfolgt.
Das Verfahren zur Anerkennung des Leids schneidet den Betroffenen den Weg zu den staatlichen Gerichten nicht ab: Jedem/jeder Betroffenen steht der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten offen.