Die frohe Botschaft nicht missbrauchen
Viele Menschen kennen mittlerweile den Begriff des sexuellen Missbrauchs. In der Öffentlichkeit weniger bekannt ist eine andere, ebenfalls schwerwiegende, Form von Gewalt innerhalb der Kirche: der spirituelle Missbrauch.
„Spiritueller Missbrauch ist eine Form von psychischer Gewalt, die ein Mensch im spirituellen, religiösen Kontext auf der Suche nach geistlicher Orientierung und Beheimatung erfährt“, erläutert Samuel Stricker, Leiter des Zentrums für christliche Meditation und Spiritualität in Heilig Kreuz Frankfurt, den Begriff. Gewalt meint in diesem Zusammenhang, dass Menschen in ihrem Denken und ihrer Lebensführung manipuliert oder unter Druck gesetzt werden. „Dazu zählt unter anderem, einem Menschen das eigene Glaubensverständnis aufzuzwingen oder den freien Willen eines anderen zu beeinträchtigen, auszunutzen und somit der anderen Person gegen ihren Willen Schaden zuzufügen, oder sie dem eigenen Willen zu unterwerfen mit dem Ziel, ihr Verhalten und Erleben zu beeinflussen und zu kontrollieren“, so Stricker. Dies geschehe unter Berufung auf den Willen Gottes, religiöse Werte und Symbole oder theologische Konzepte.
Sichere Orte und Begegnungsräume innerhalb der Kirche schaffen
Stricker ist Implementierungsverantwortlicher des MHG-Folgeprojektes „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“. Gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe hat er innerhalb des Projektes ein Rahmenschutzkonzept gegen spirituellen Missbrauch im Bistum Limburg entwickelt. Das Konzept soll dazu beitragen, dass alle Bereiche kirchlichen Lebens, von der Kita, über die Senioreneinrichtung, den Gottesdiensten, Seelsorgegespräche, Katechesen und Arbeitsverhältnisse, sichere Orte und Begegnungsräume sind. „Wir haben Standards für das Bistum benannt, die geistlichen Missbrauch bestmöglich verhindern sollen und die jetzt in den verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel den Pfarreien, Einrichtungen, Verbänden und Gemeinschaften, konkretisiert werden“, sagt Stricker.
Wissen über spirituellen Missbrauch ist wichtiger Teil der Präventionsarbeit
Einer dieser Standards beinhaltet, das Thema bekannt zu machen und dafür zu sensibilisieren. „Spiritueller Missbrauch ist zwar kein neues Phänomen, die kirchliche Auseinandersetzung damit steht allerdings noch ganz am Anfang“, erläutert Stricker. „Das Wissen darum, dass es so etwas wie spirituellen Missbrauch gibt und was sich dahinter verbirgt, ist die Voraussetzung dafür, dass der Missbrauch überhaupt benannt und damit auch angezeigt und sanktioniert werden kann.“ Wissen über spirituellen Missbrauch bilde zudem eine wesentliche Voraussetzung für eine gute Präventionsarbeit, so Stricker weiter: „Da spiritueller Missbrauch häufig dem sexuellen Missbrauch vorausgeht und diesen teilweise sogar erst ermöglicht, ist die Prävention vor spirituellem Missbrauch auch ein wichtiger Baustein in der Prävention vor sexualisierter Gewalt.“
Das Rahmenschutzkonzept sieht vor, dass die Prävention von spirituellem Missbrauch künftig Teil der Ausbildung von pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden soll. Auch für ehrenamtlich Tätige, die in besonders sensiblen Feldern tätig sind, sollen entsprechende Fortbildungs- und Präventionsmodule entwickelt werden.
Schutz gefährdeter Personen und Förderung von spiritueller Autonomie
„Auch wenn grundsätzlich jeder Mensch von spirituellem Missbrauch betroffen sein kann, gibt es Personengruppen, die besonders gefährdet sind und eines besonderen Schutzes bedürfen“, weiß der Implementierungsbeauftragte. Dazu gehörten beispielsweise Kinder und Jugendliche, religiös Suchende, Kranke und Sterbende, Menschen, die sich in einer Krise befinden, Menschen, die einer Minderheit angehören, aber auch Menschen, „die auf der Suche nach der eigenen Berufung sind, mit einer tiefen Sehnsucht nach einem intensiven geistlichen Leben“, so Stricker.
Ein wichtiger Bestandteil der Präventionsarbeit sei deshalb neben der Sensibilisierung für grenzverletzendes Verhalten auch eine eindeutige Positionierung gegen spirituellen Missbrauch. Dazu zählt laut Stricker besonders die Förderung der spirituellen Autonomie der oder des Einzelnen. „Jeder Gläubige hat das Recht, eine eigene, ihm entsprechende Form des geistlichen Lebens und entsprechende Ausdrucksformen zu finden. Daraus folgt auch, dass jede Form von Pastoral und Seelsorge ein Angebot ist. Es gibt keinen Zwang in Glaubensdingen“, betont Stricker.
Das Rahmenschutzkonzept sieht vor, dass das Bistum zeitnah Ansprechpersonen benennt, an die sich Betroffene von spiritueller Gewalt jeder Zeit wenden können. Darüber hinaus ist im Rahmen der kompletten Umsetzung die Einführung einer Fachstelle für die Bereiche Prävention, Intervention und Aufarbeitung vorgesehen, in der es auch eine beauftraget Fachkraft für den Bereich spiritueller Missbrauch geben wird. Die Fachkraft wird für die Umsetzung und Weiterentwicklung des Rahmenschutzkonzeptes zuständig sein und die Pfarreien, Einrichtungen, Verbände sowie haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende in allen Fragen rund um das Thema unterstützen. Als Ansprechpartner für Fragen steht zudem der Implementierungsverantwortliche Samuel Stricker zur Verfügung: s.stricker@ bistumlimburg .de.