"Theologie hat viel zu lange geschwiegen"
Aktuell werden 64 Maßnahmen, die künftig sexuellen Missbrauch im Bistum Limburg verhindern sollen, umgesetzt. In der Interviewreihe „Nachgefragt“ geben wir konkrete Einblicke in die Umsetzung und berichten über die Arbeit der Verantwortlichen an einzelnen Maßnahmen. Der aktuelle Stand der Umsetzung kann jederzeit hier eingesehen werden.
Professorin Dr. Hildegard Wustmans ist seit Dezember 2017 Dezernentin für Pastorale Dienste im Bistum Limburg. Zuvor lehrte sie Pastoraltheologie an der Katholischen Privat-Universität in Linz in Österreich. Von 2006 bis 2009 leitete sie das Dezernat Kinder, Jugend und Familie im Bischöflichen Ordinariat.
Wie sind Sie an der Implementierung beteiligt?
Mit Frau Dr. Suharjanto darf ich das Teilprojekt „Theologie angesichts des Missbrauchs“ leiten. Vor dem Hintergrund der Theologie untersuchen wir in den nächsten zwei Jahren sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche. Denn schon jetzt zeigen die Ergebnisse der MHG-Studie u.a., dass Kirchenbilder Machtkonstellationen erzeugen können, die eine bedeutende Ursache des sexuellen Missbrauchs sind. So wollen wir in diesem Teilprojekt die theologischen Motive klerikaler Identitätskonstruktionen offenlegen, hinterfragen und den theologischen Kern neu auslegen. Die Auseinandersetzung soll dabei sowohl im Blick auf Opfer geschehen, aber auch um die Täterinnen und Täter sowie Dulderinnen und Dulder erweitert werden, mit dem Ziel, Muster zu entziffern und der Frage zuführen, wie sich angesichts des sexuellen und spirituellen Missbrauch die Theologie selbst zu verändern hat.
Welche Wirkungen haben die Ergebnisse für die Betroffenen?
Die Betroffenen merken hoffentlich, dass wir an den inhaltlichen Kern herangehen – die Theologie. Diese hat viel zu lange geschwiegen. Jetzt geht es darum, vor dem Hintergrund des grausigen Wissens, was mit Theologie legitimiert werden kann, diese umzuschreiben und neu sprachfähig zu machen. Unsere Arbeit ist dabei natürlich nur ein kleiner Baustein, vieles wird an den Fakultäten, in den Ausbildungen und in der Erwachsenenbildung zu verfolgen sein. Wir wollen aber einen Auftakt setzen.
Welche Auswirkungen auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bistum erwarten Sie?
Wir hoffen, dass wir mit unserer Arbeit Machtasymmetrien reduzieren und falscher Idealisierung sakramental aufgeladener Lebensentwürfe konstruktiv-kritisch entgegenwirken können. Christliche Theologie angesichts des Missbrauchs zu treiben bedeutet, die Erfahrungen von Betroffenen durchgreifend werden zu lassen sowie den Umgang mit Schuld und Versöhnung zu thematisieren und zu kultivieren. Und das hat dann hoffentlich auch positive Effekte mit Blick auf das allgemeine Priestertum, es soll gestärkt werden.