Bereitschaft zur Veränderung ist groß
Eine große Bereitschaft zur Veränderung sieht Dr. Caspar Söling bei den Themen Aufarbeitung und nachhaltige Prävention von sexualisierter Gewalt im Bistum Limburg. Er ist Bischöflicher Beauftragter für die Implementierung des MHG-Folgeprojektes „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ in der Diözese. Am Donnerstag, 21. Juli, hat er in einer Online-Veranstaltung mit dem Titel „Es tut sich was! Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ mit dem Journalisten Christoph Cuntz über den Aufarbeitungsprozess im Bistum gesprochen.
Aufarbeitung scheiterte lange an institutionellem Reflex
„Warum hat sich die Kirche lange Zeit so schwer getan mit der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt?“, lautete eine der Eingangsfragen des Journalisten Cuntz. Den Grund sieht Söling in einem institutionellen Reflex: „Die Angst vor der Beschädigung der heiligen Institution Kirche“. Bereits seit Mitte der 1980er Jahre habe es tiefgreifende gesamtgesellschaftliche Veränderungen gegeben, durch die erstmals auch den Betroffenen von sexuellem Missbrauch Gehör geschenkt wurde, so der Bischöfliche Beauftragte. „Erste Opferschutzorganisationen wie etwa Wildwasser e.V. wurden gegründet und erleichterten es Betroffenen, sich zu melden und Unterstützung zu bekommen“. Spätestens mit dem erneuten Bekanntwerden der Missbrauchsfälle im Berliner Canisius-Kolleg, an der Odenwaldschule und auch im St.-Vincenzstift in Aulhausen im Jahr 2010, sei ein „unter den Teppich kehren“ von Fällen sexualisierter Gewalt unmöglich geworden.
In den Jahren 2014 bis 2018 wurde die sogenannte MHG-Studie durchgeführt, ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zum Thema sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland. Benannt ist die Untersuchung nach den beteiligten Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen. Bundesweit wurden im Rahmen der Studie etwa 3.700 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen und knapp 1.700 Täter (Priester, Ordensmänner und Diakone) ermittelt.
Im Oktober 2020 beauftragte der Bischof von Limburg, Dr. Georg Bätzing, den Leiter des St. Vincenzstifts Aulhausen, Dr. Dr. Caspar Söling, die Vorschläge des Limburger Aufarbeitungsprojektes im Bistum Limburg umzusetzen. Als Leiter des Vincenzstifts hatte Söling bereits im Jahr 2012 eine umfassende Studie zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in der Einrichtung öffentlich gemacht. Bei dem Bistumsprojekt gehe es vor allem um die Fragen „Was ist historisch passiert?“, „Wie können und müssen wir mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt umgehen?“ und „Welche systemischen Veränderungen sind im Bistum nötig?“, berichtete Söling. Mittlerweile seien für den Zeitraum seit 1946 insgesamt 46 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern im Bistum Limburg aktenkundig, so der Beauftragte weiter: „Etwa zwei Drittel der missbrauchten Kinder sind Jungen“.
Betroffene in den Mittelpunkt stellen
„Was tut das Bistum jetzt, zur Aufarbeitung und Prävention von sexualisierter Gewalt“, fragte der Journalist Cuntz nach den Konsequenzen der bisherigen Erfahrungen. Söling betonte, es sei wichtig, bei allen Maßnahmen die Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen und nicht den Schutz der Institution. „Informationen und Beschwerdemöglichkeiten sollen leichter zugänglich sein“, sagte der Bischöfliche Beauftragte und verwies auf eine neue Internetseite der Diözese zum Thema (www.gegen-missbrauch.bistumlimburg.de) mit Informationen zum aktuellen Stand der Aufarbeitung, zur Prävention und Hilfen bei Missbrauch und Missbrauchsverdacht. Jede Institution der Diözese solle zudem künftig ein Beschwerdemanagement anbieten, Kinderrechte sollten gestärkt werden und Verdachtsfälle über niedrigschwellige Systeme, wie etwa mittels QR-Code, einfach gemeldet und Hilfen angefordert werden können, so der Beauftragte weiter. Darüber hinaus sei es wichtig, eine neue Haltung zur Sexualität zu entwickeln, die Sexualität nicht tabuisiere, erklärte Söling. Weitere Maßnahmen seien eine betroffenensensible Kommunikation und ein verändertes Priesterbild, als zeitgemäßes Berufsbild im Bistum.
„Das Bistum meint es ernst“
Bezogen auf Anerkennungsleistungen wollte Cuntz wissen „Wie steht es um die Wiedergutmachung durch das Bistum?“. Die Kirche habe sich zur Zahlung von Anerkennungsleistungen für die Opfer entschlossen, erklärte der Beauftragte, unabhängig von eventuellen Verjährungsfristen. Aus dem Bistum Limburg hätten sich bislang 30 Betroffene gemeldet, so Söling. In 22 Fällen seien Gelder ausgezahlt worden. Allerdings sei „Geld nicht alles“, betonte Söling und erinnerte an einen Fall, bei dem es für den Betroffenen sehr wichtig war, direkt mit Bischof Bätzing in Kontakt zu kommen. Er erlebe Bischof und Generalvikar Wolfgang Rösch als sehr offen, wenn es um die Belange der Betroffenen gehe und sehr konsequent bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt. Die Haltung vom Bischof und Generalvikar sei extrem wichtig, um auch Veränderungen innerhalb der Organisation bewirken zu können, so Söling. Wenn Betroffene sich beim Bistum meldeten und aus dem Prozess der Aufarbeitung hinausgingen habe er nicht die Erwartung, dass für sie nun wieder alles gut sei, sagte der Bischöfliche Beauftragte. Dafür seien die Verletzungen zu groß. Aber er hoffe, die Betroffenen würden erleben „das Bistum meint es ernst“, so Söling.
Hintergrund
In einer siebenteiligen Online-Veranstaltungsreihe informiert das Bistum Limburg unter dem Titel „Es tut sich was! Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ über den aktuellen Stand der Aufarbeitung und die Umsetzung der Maßnahmen aus dem MHG-Folgeprojekt. Die nächsten Termine der Reihe sind:
22.09.2022: Damit Kommunikation hilft
In Verbindung sein mit Betroffenen im Bistum
08.11.2022: Kinder stärken – Kinder schützen
Für die Rechte der Kleinsten im Bistum
17.01.2023: Sexualität endlich im Blick
Eine neue Haltung im Bistum
28.02.2023: Frohe Botschaft nicht missbrauchen
Gegen spirituelle Gewalt im Bistum
23.03.2023: Priester sein – heute
Ein zeitgemäßes Berufsbild im Bistum
6. Juni 2023: Hilfe mit Weitblick: Einfache Zugänge im Bistum
(Der ursprünglich geplante Veranstaltungstermin am 02.05. musste leider verschoben werden).
Gäste:
- Dr. Wolfgang Pax (Generalvikar des Bistums Limburg),
- Silke Arnold (Präventionsbeauftragte und Referentin in der Koordinationsstelle Prävention vor sexualisierter Gewalt)
Zoom-Zugangslink:
https://us02web.zoom.us/j/82575256167?pwd=dStTQnNSSlNxeGdKTWRwWnA1OVZwdz09
Video der Veranstaltung vom 21. Juli
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